Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) by Atwood Margaret

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) by Atwood Margaret

Autor:Atwood, Margaret [Atwood, Margaret]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: eBook Berlin Verlag
veröffentlicht: 2014-03-09T23:00:00+00:00


KNOCHENHÖHLE

Schreibschrift

Toby arbeitet an ihrem Tagebuch. Eigentlich fehlt ihr die Energie, aber nachdem Zeb sich die Mühe gemacht hat, ihr die Schreibutensilien zu besorgen, wird es ihm garantiert auffallen, wenn sie sie nicht benutzt. Sie schreibt in ein billiges Schulheft aus der Drogerie. Auf dem Deckblatt prangen eine gelbe Sonne, ein paar rosa Gänseblümchen und ein Mädchen und ein Junge im kindlich-rudimentären Zeichenstil von damals – wie lange ist es her? Es scheinen Jahrhunderte zu sein. Dabei ist es nicht mal ein Jahr.

Der Junge trägt blaue Shorts, eine blaue Kappe und ein rotes T-Shirt; das Mädchen hat Zöpfe, ein ausgestelltes Röckchen und ein blaues Oberteil. Beide haben verschmierte schwarze Glubschaugen und dicke rote, nach oben gedrehte Münder; sie lachen sich tot.

Sie sind tot. Diese Kinder sind nur gezeichnet, und dennoch sind sie genauso tot wie alle anderen. Sie kann diesen Umschlag nicht allzu lange ansehen, es tut zu weh.

Konzentrier dich lieber auf deine Aufgabe. Nicht grübeln oder Trübsal blasen. Nimm einen Tag nach dem anderen.

Sankt Bob Hunter und das Fest der Rainbow Warriors, schreibt Toby. Zeitlich könnte sie etwas danebenliegen – wahrscheinlich ein bis zwei Tage –, aber wie soll sie das überprüfen? Es gibt keine Instanz mehr für die Tage des Monats. Wobei, Rebecca könnte es wissen. Für die Festlichkeiten und Festmahle gab es jeweils bestimmte Rezepte. Vielleicht weiß sie sie auswendig; vielleicht hat sie aufgepasst.

Mond: zunehmender Dreiviertelmond. Wetter: nichts Ungewöhnliches. Besondere Vorkommnisse: Schweine zeigen sich aggressiv. Zebs Expedition sichtet Spuren der Painballer: Ein Ferkel wurde geschossen und teilweise geschlachtet. Entdeckung einer Sandale aus Gummireifen, könnte auf Adam deuten. Kein sicherer Hinweis auf Adam Eins und die Gärtner.

Sie denkt einen Augenblick nach, dann fügt sie hinzu: Jimmy ist bei Bewusstsein und erholt sich. Craker nach wie vor freundlich.

»Was machst du da, o Toby?« Es ist der kleine Blackbeard: Sie hat ihn gar nicht kommen hören. »Was sind das für schwarze Linien?«

»Komm hier rüber«, sagt sie. »Ich beiße nicht. Guck mal. Ich schreibe: Das sind die schwarzen Striche hier. Ich zeig’s dir.«

Sie geht mit ihm die Grundlagen durch. Das hier ist Papier, es wird aus Bäumen gemacht. Ob das dem Baum weh tut? Nein, denn der Baum ist schon tot, wenn das Papier gemacht wird – nicht ganz die Wahrheit, aber was soll’s. Und das hier ist ein Kugelschreiber. Da ist schwarze Flüssigkeit drin, die nennt man Tinte, aber zum Schreiben braucht man nicht unbedingt einen Kugelschreiber. Zum Glück, denkt sie: Kugelschreiber gibt’s nämlich bald nicht mehr.

Schreiben kann man mit vielem. Man kann mit Holunderbeersaft schreiben, man kann eine Vogelfeder als Stift benutzen, man kann einen Stock nehmen und damit in den nassen Sand schreiben. Das alles kann man zum Schreiben verwenden.

»Pass auf«, sagt sie, »so schreibt man die Buchstaben. Jeder Buchstabe steht für einen Laut. Und wenn man die Buchstaben zusammenzieht, ergeben sie ein Wort. Und die Wörter bleiben dort, wo man sie hingesetzt hat auf dem Papier, und dann können andere Menschen sie auf dem Papier sehen und die Wörter hören.«

Blackbeard sieht sie an, er blinzelt verwirrt und ungläubig. »O Toby, aber es kann nicht sprechen«, sagt er.



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